Freilegungen

Zeichnungen von Henning Bertram und Plastiken von Rainer Nummer

Sonderausstellung vom 14.April bis zum 15. Juli 2018

»In der Doppelausstellung von Henning Bertram und Rainer Nummer finden zwei Künstler zusammen, die sich kongenial ergänzen. Wie in einem guten Gespräch entsteht ein Dialog zwischen den Arbeiten, der die Gemeinsamkeiten ebenso wie die jeweiligen Besonderheiten heraushebt. Denn die zwei Künstler beschäftigen sich nicht nur mit demselben Sujet (Architektur), sondern ihre Arbeiten besitzen zugleich sowohl grafische als auch bildhauerische Qualitäten. Während der eine jedoch zeichnerisch den gebauten Raum ergründet, konstruiert der andere dreidimensionale Architekturen im Raum, deren Oberflächen er wiederum zeichnerisch überarbeitet. In seinem Oeuvre bannt Henning Bertram archetypische Architekturen auf Papier oder Leinwand: Gewölbe und Brücken, Burgen und Pfahlbauten, Arenen und Plateaus. Mit dicken Kohlestücken oder Pastellkreide in gedeckter Farbigkeit – Schwarz oder Ocker – formuliert er regelrechte »Urbilder« von Behausungen. Dabei wird die Farbe aufgetragen und gelegentlich mit den Händen verrieben, Teile wieder übermalt oder mit Radiergummi und Gouache ausgelöscht, um im spannungsvollen Spiel aus Licht und Schatten räumliche Volumina zu erzeugen.

Der Titel der Ausstellung »Freilegungen« betont den dynamischen Prozess des Entstehens, der beiden Künstlern gleichermaßen wichtig ist: »Das Setzen einer einfachen Linie setzt ein Ereignis frei; nicht durch die Linie selbst, sondern durch die Teilung, die sie im Grund des Papiers erzeugt.« (Henning Bertram) Durchaus lustvoll–spielerisch aber zugleich auch mit der anhaltenden Vehemenz eines Archäologen, der in die tieferen Schichten der Erde vordringt, um seinen Fund zu bergen, werden die Formen geradezu herausgeschält.

Rainer Nummer kehrt diesen Prozess der Auseinandersetzung gewissermaßen um, indem er aus einfachen, sogenannten »armen Materialien« Plastiken collagiert und anschließend mit Farbe übertüncht oder mit einem Netz aus unruhigen Linien bedeckt. In einem assoziativen Prozess werden die Fundstücke zu Hochhäusern aufgetürmt oder einer Art hermetischer Depots zusammengesetzt: »Es ist eine Art Selbstgespräch, bei dem ich wie im Taumel den Einfällen folge.« (Rainer Nummer)[...]

Wenn sich Henning Bertram und Rainer Nummer in ihren Plastiken und Zeichnungen ausschließlich der Architektur widmen, scheint es, als wollten sie die traditionelle Symbiose zwischen Architektur, Malerei und Bildhauerei wiederaufleben lassen. Mit einfacher aber impulsiver Geste, geradezu obsessiv–suchend setzen sich die Künstler mit diesem Sujet auseinander. Obgleich Henning Bertram in seinen Zeichnungen verschiedene Baugattungen unterscheidbar macht und sich in den Plastiken von Rainer Nummer Funktionen andeuten, geht es ihnen dabei nicht um eine detaillierte Darstellung spezifischer Bauten. Vielmehr treten die Strukturen als eine »Idee« von Architektur in den Bild- oder Ausstellungsraum und die Betrachter sind eingeladen, sich als temporäre Bewohner gedanklich in sie hineinzubegeben. In der haptischen Auseinandersetzung mit dem Material und im spielerischen Umgang mit Hell und Dunkel nehmen diese Ideen unter den Händen der Künstler Gestalt an. Anstatt jedoch einen gesellschaftlichen Neuentwurf darzustellen, können sie eher als atmosphärische Notationen eines verwinkelten Innenlebens und Architekturen der Seele verstanden werden.« 

Aus dem Katalogbeitrag von Friederike Fast, Kuratorin am Marta Herford

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